Longyearbyen und Adventdalen
Armin, unser Reiseleiter, holte uns am Flughafen etwa 10 km
außerhalb Longyearbyens ab.
Longyearbyen ist Svalbards Hauptort und Sitz der norwegischen Verwaltung
(des "Sysselmannen"). Auf der Fahrt in den Ort beeindruckte er durch
fließend norwegische Konversation mit dem einheimischen Fahrer.
Unsere Gruppe war ziemlich heterogen, was sich
aber erst im Laufe der Zeit zeigte: Ein Teil hatte mehr Interesse an
den verrottenden Spuren des Trapperlebens auf Svalbard, der andere
erwartete ausgedehnte Wanderungen in weitgehend unberührter Natur,
insbesondere die angekündigte Mehrtagestour bei Ny Ålesund.
Zunächst spielte das aber keine Rolle. Wir quartierten uns in
Longyearbyens "Neustadt" (Nybyen) in ehemaligen Bergmannsunterkünften ein.
Bergbau ist der historisch Wichtigste und neben Tourismus
(inkl. Forschungsstationen) der einzige Wirtschaftszweig, der heute noch
auf Svalbard zu finden ist. Alle Siedlungen, die norwegischen wie die
russischen, verdanken ihre Gründung dem Bergbau. Profitabel
dürfte er aber längst nicht mehr sein: In Longyearbyen wurde 1997 nur
noch aus einer von sieben Gruben Kohle gefördert, Ny Ålesund ist
mittlerweile reine Forschungsstation und die russischen Gruben werden
ebenfalls nach und nach stillgelegt.
Die erste Tour führte von Longyearbyen mit dem Jeep nach Osten ins
Adventdalen.
Bei der siebten und letzten Kohle fördernden Grube in
Longyearbyens Umgebung ging es bergauf zu einer Wetterstation und von dort
zu Fuß weiter, um
einen der tausend Gletscher Svalbards zu erreichen. Den Namen habe ich
vergessen. Unterwegs wechselten sich Schneefelder mit Geröll ab, es
war kalt, ein kräftiger Wind bließ und es schnee-regnete aus
tiefhängenden Wolken: Es war einfach typisch Spitzbergen
im Sommer.
Wir erreichten schließlich nach etwa zwei Stunden das Ziel.
Hier war für die ganze Sommersaison ein Küchen- und Schlafzelt
installiert. Auf dem Gletscher stand ein
Schlitten bereit.
Eigentlich sollte jetzt eine Hundeschlittentour beginnen, was aber
wegen des schlechten Zustands der Gletscheroberfläche mit
Rücksicht auf die Hunde abgesagt wurde. Anders als die
Grönländer, behandeln die Norweger ihre Hunde sehr gut. Die
sind deshalb auch sehr zutraulich, so dass es viel
Spaß macht sie zu führen. Dazu
bindet man sich die Leine um die Hüfte, weil der Hund
sonst kaum zu halten ist.
Schlittenhunde leben nach dem Motto "Streng
dich an!", egal ob es bergauf oder bergab geht, ob sie im Gespann einen
Schlitten ziehen oder alleine einen Wanderer: Sie
ziehen immer mit voller Kraft, egal
ob es nötig ist oder nicht. Wir überquerten den
anvisierten Gletscher
stattdessen zu Fuß und übernachteten später
im Gemeinschaftszelt auf Rentierfellen. Die sind bequemer
und wärmer als die üblichen Therm-a-Rest,
allerdings zu schwer und unhandlich, um als Alternative für den
Wanderer in Betracht zu kommen. Am Abend kochte unser schwedischer
Führer Robbenburger:
Sehr dunkles, mageres Fleisch, das ausgezeichnet schmeckte.
Die Nacht war laut (Schnarchen, heulende Hunde) aber sehr romantisch.
Am nächsten Tag sind wir wieder nach Longyearbyen abgestiegen und haben
statt der Schlittentour einen Ausflug mit einem alten Käfer ohne
Motor gemacht: Dem
Trainingsgerät der Hunde.
Schiffsreise mit der Nordstjernen
Trotz meiner anfänglichen Skepsis, war die Rundreise mit der
ehemaligen Hurtigruten "Nordstjernen"
ein Höhepunkt des Spitzbergen-Urlaubs, den ich nur weiterempfehlen
kann. Nur so hat der normale Tourist Gelegenheit, die
entlegensten Fjorde anzulaufen.
Die Eindrücke sind einzigartig.
Wir legten abends in Longyearbyen ab und fuhren den Isfjord und die
Westküste Spitzbergens entlang Richtung Norden. Am Morgen erreichten
wir den
Magdalenenfjord:
Eine unglaublich schöne Bucht, in der sich
einst Walfänger tummelten. Auf einer schmalen Landzunge am
Fjordeingang gibt es noch einen alten Walfängerfriedhof. Verschneite
Berge, kalbende Gletscher, blaue See und weiße Sandstrände
treffen hier zusammen.
Die Fahrt ging weiter um die Nordspitze Spitzbergens herum, wir passierten
den 80. Breitengrad bei der Insel Moffen. Hier soll es häufig
Seehundkolonien geben, aber wir haben leider keine gesehen.
Wir fuhren dann weiter nach Süden in
den Woodfjord und gabelten ein schwedisches Paar auf: Ein Fotograf mit
seiner Frau, die hier überwintert hatten. Es ist die Gegend, in der
auch der auch Christiane Richter in
den dreißiger Jahren ein Jahr bei einem Trapper in dessen Holzhütte
lebte. Ihr Bericht über diese Zeit ist sehr lesenswert. Im Gegensatz zu
neueren Berichten dieser Art.
Wir bogen dann nach Westen in den Liefdefjord
ein und weiter bis ans Ende zum Monacobreen.
Hier sahen wir die ersten (und letzten)
Eisbären:
Eine Mutter mit Kind. Verlässt man den Liefdefjord, liegen
rechter Hand die bunten Rücken der Roosfjella: Für mich ein
unvergesslicher Anblick und eines der schönsten
Bilder, die ich je aufgenommen habe.
Nach diesem landschaftlichen Höhepunkt ging es nachts in einem Rutsch
zurück in den Kongsfjord nach
Ny Ålesund. Hier begann der dritte Abschnitt unserer Reise.
Wanderungen bei Ny Ålesund
Ny Ålesund ist eine internationale Forschungsstation: Die Einzigen, die
hier längere Zeit Leben (ein Jahr und mehr) sind Wissenschaftler,
Personal und Bauarbeiter. Letztere wohl vor allem, weil es extrem gut bezahlt
wird. Es ist für sie nicht nachvollziehbar, warum jemand eine Menge Geld
bezahlt, um nach Spitzbergen zu kommen,
während er eigentlich Schmerzensgeld verlangen sollte.
Die Arbeiter bekommen nicht nur viel
Geld, sie haben auch keine Gelegenheit welches auszugeben. Es gibt eine
zentrale Kantine für die ganze Gemeinde, die rund um die Uhr geöffnet
ist, da ohnehin jeder arbeitet wann es ihm am Besten passt,
und die kostet nichts. Die wenigen Souvenirshops und "Verdens nordligste
Postkontor" dürften ziemlich schnell ihren Reiz verlieren.
An die Kantine angeschlossen ist ein Pub, in dem
Freitag und Samstag Nacht eine Party stattfindet: Dabei werden die Fenster
mit schweren Vorhängen verhangen, damit es einigermaßen dunkel ist.
Ny Ålesund liegt auf 79 Grad Nord, so dass es Nachts wirklich taghell
ist und die Sonne im Norden deutlich über dem Horizont steht.
Sich bei diesen Festen sinnlos zu besaufen ist
die einzige Chance, das mühsam
erarbeitete wieder unter die Leute zu bringen; obwohl die Alkoholpreise
verglichen mit dem norwegischen Festland niedrig sind, da Svalbard
zollfreie Zone ist. Als wir dank Armins guter Kontakte diesem Spektakel
beiwohnen durften, fiel gerade ein Tänzer besoffen von der Theke in
Richtung Barkeeper. Der nahm das aber sehr gelassen, wischte auf und verlor
weiter kein Wort darüber. Es schien so ungewöhnlich nicht zu sein.
Der Ort besteht aus vielen hübschen, bunten Häusern, die das
"norwegische", das "deutsche", das "französische" Haus heißen.
Armin organisierte für uns eine Führung durchs deutsche Haus, bei
der der Leiter der Forschungsstation uns aktuelle Forschungsvorhaben und
das tägliche Leben beschrieb: Man ließ eine Menge Messballons
zur Erkundung des Ozonslochs über der Arktis steigen und wurde
im übrigen nach einiger Zeit ziemlich unselbstständig, weil
man sich um nichts mehr kümmern musste: Einkaufen, wie gesagt, konnte
und brauchte man nicht, es wurde ein Jahr komplett für einen gesorgt.
Anschließend gibt es dann immer wieder Probleme mir der
Resozialisierung in die Heimat zurückgekehrter Forscher.
Ansonsten haben wir aber wenig Häuser von innen gesehen, da wir etwa
einen Kilometer außerhalb Ny Ålesunds auf einer Wiese mit
wunderschönem Blick auf den Kongsfjord und den Startplatz von
Nobiles gescheitertem Versuch, von hier den Nordpol mit dem
Heißluftballon zu erreichen, zelteten. Unser Zeltlager war
ausgesprochen komfortabel, wir hatten sogar ein Küchenzelt - sehr
zum Missfallen derer, die sich hier auf eine mehrtägige Tour
eingestellt hatten. Das war wohl Armins Idee und bei mir verdichtete sich
der Eindruck, dass unser Reiseleiter zwar gut norwegisch konnte, ein
ausgesprochen kommunikativer Typ war, was uns hier und dort
Türen öffnete, die ansonsten verschlossen geblieben wären, dass
er bestens Bescheid über Ausrüstung und medizinische Versorgung
in der Wildnis wusste - sich aber lieber nicht zu viel bewegte.
Ich war sehr erstaunt, ihn ein paar Jahre später im Fernsehen
anlässlich einer Reportage über seine Durchquerung des
grönländischen Inlandeises zu sehen: Moderiert von einer
ausgesprochen dämlichen Reporterin, gesendet in einem
überflüssigen deutschen Sportsender. Diese Umstände sollen
aber Armins Leistung nicht schmälern.
Seine geplante Route über das Inlandeis
war sehr ehrgeizig angelegt, von Südosten nach
Nordwesten und damit sehr viel länger als etwa die
Inlandeisdurchquerung von Nansen.
Möglich sollte das durch den Einsatz von Eissegeln werden.
Der Plan scheiterte letztendlich am schlechten Wetter.
Rings um die unser Zeltlager
spannten wir in etwa zwei Metern Entfernung einen Draht in Wadenhöhe, unsere Eisbärenalarmanlage. Sollte ein Eisbär sich den Zelten
nähern, würde er an den Draht stoßen und damit eine kleine
Explosion auslösen, die uns warnen und ihn erschrecken würde:
Damit wäre dann hoffentlich genug Zeit gewonnen, um das Treffen für
beide Seiten unblutig zu beenden. Das ist nicht ganz so lustig, wie es
vielleicht zunächst klingt: Eisbären sind auf Spitzbergen für
den Wanderer ein Problem und der Hauptgrund, warum es ratsam ist, geführte
Touren zu gehen. Es ist verboten, die wenigen Ortschaften unbewaffnet zu
verlassen. Fast jedes Jahr gibt es unbeabsichtigte Zusammentreffen von
Touristen und Bären, die aber in der Regel zum Glück damit enden,
dass es gelingt den Bären mit Warnschüssen zu vertreiben.
Die einzigen Tiere, die sich unseren Zelten näherten, waren Rentiere.
Gott sei Dank.
Auf unserer Ausrüstungsliste für Spitzbergen hatten Gummistiefel
gestanden.
Ein Schuhwerk, das man eigentlich nie braucht, wie sich dann
zeigte auch auf Spitzbergen nicht. Der angetaute Permafrostboden
kann zwar im Sommer tatsächlich sehr sumpfig sein, wirklich nützlich
waren die Stiefel trotzdem nur auf einer einzigen Wanderung: An der
Küste des Kongsfjords entlang. Die schönste Wanderung bei
Ny Ålesund führte indessen
über die Berge und Gletscher der Brøgger-Halbinsel Richtung Engelsbukta. Ohne Gummistiefel.
Ausflug nach Pyramiden
Nach einer Woche fuhren wir von Ny Ålesund wieder mit der Nordstjernen
über Barentsburg zurück nach Longyearbyen.
Im Spitzbergen-Vertrag von 1920 wurde festgelegt, dass Norwegen die
Inselgruppe verwaltet und eine Reihe weiterer Staaten die Bodenschätze
nutzen dürfen, darunter Russland.
Barentsburg ist eine
russische Bergbausiedlung, am Eingang des Isfjords gelegen,
die in scharfem Kontrast zu den pittoresken
norwegischen Siedlungen steht: Statt bunter Häuschen dominieren hier
mehrstöckige, kasernenartige Gebäude auf Stelzen.
Eine Bauweise, wie sie wohl in Sibirien
üblich ist. Die Siedlung wirkt grau, die Menschen sehen blass und
ungesund aus. Not macht aber auch erfinderisch: Da auf die
Nahrungsmittelimporte vom russischen Festland kein Verlass ist, versuchen
die Russen auf Spitzbergen in Gewächshäusern selbst ihre Tomaten
zu ziehen und sich eigene Milchkühe zu halten. Mit Erfolg.
Außer Barentsburg gab es 1997 noch eine zweite russische Ortschaft,
in der Kohle abgebaut wurde: Pyramiden. Es war ihr letztes Jahr,
ihre Bewohner hatten schon damit angefangen, die eigene Siedlung zu verheizen.
Der Abbau der Kohle ist sicher nicht wirtschaftlich, auch wenn sie
relativ leicht zugänglich ist: Sie liegt in horizontalen
Schichten in den Bergen, so dass es genügt waagrecht Stollen in die
Bergrücken zu treiben. Diese Unwirtschaftlichkeit
hat die Russen wohl bewogen, ihre
Präsenz mit nur einer Siedlung zu demonstrieren,
Barentsburg eben.
Pyramiden liegt am Nordende des Billefjords,
etwa eineinhalb Stunden mit dem Schiff von Longyearbyen. Als wir mit einem
kleineren Ausflugsschiff in Pyramiden anlegten, wurden wir von einem
uralten russischen Bus abgeholt, der uns zu den Sehenswürdigkeiten
des Ortes
brachte, darunter eine Kapelle aus leeren (Wodka-)Flaschen.
Die Führung hatte
eine des Englischen mächtige Russin mit einem eher herben Charme.
Längerem Verweilen am selben Ort trat sie mit dem Argument entgegen:
"Time is money. We Don't have money, so we don't have time." Trotzdem
ließ sie uns im einzigen Hotel noch russischen Wodka versuchen,
in Wassergläsern verabreicht und auf der Zunge zergehend. Ich habe heute
noch eine Flasche aus dem untergegangenen Pyramiden, die anzubrechen einfach
zu schade ist.
Zwei Jahre später kam ich auf meiner
Newtontoppen-Tour wieder nach Pyramiden,
aber da war es schon eine Geisterstadt.